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Kurzgeschichten

Die Besucherschleuse

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Jede italienische Bank, die etwas auf sich hält, besitzt eine Besucherschleuse. Diese kann je nach Bedeutung der Bank verschiedene Formen annehmen, wobei Doppelausstattungen vorkommen. Letzteres bemerkt allerdings nur der Besucher, dem es gelingt, die erste Hürde, d.h. Schleuse, zu überwinden. Ich konnte daher z.B. nie in Erfahrung bringen, ob sich hinter der auf mich gerichteten Maschinenpistole einer renommierten Bank in Siena noch eine zweite Schleuse befand. Der zu der Waffe gehörende Krieger sagte nämlich derart unmissverständlich “No change!” und machte so wenig Anstalten zu einer Richtungsänderung seines Feuerstocks, dass ich ihn nicht nach der zweiten Schleuse zu fragen wagte.

Das Beispiel zeigt, dass die Eingangsschleuse die Aufgabe hat, unliebsame Besucher fern zu halten. Sie kann dazu unvermittelt aus einem Hinterhalt, in meinem Fall hinter einer Säule, hervortreten und auf den Besucher zugehen. Vom unteren Ende der Eingangstreppe kommend muss der potenzielle Eindringling dann mit freiem Blick in die Feueröffnung Rede und Antwort stehen. Das halten nur hart gesottene Terroristen aus. Ich trat damals jedenfalls lieber den Rückzug an.

Aber nicht alle italienischen Banken werden auf so kriegerische Weise bewacht. Oft ist es nur ein leicht bewaffneter Polizist, sofort erkennbar als der liebenswerte Antonio von nebenan, der sich gestern abend beim Anfeuern seiner Freunde auf der Boccia-Bahn noch die Kehle wund schrie.

Die zweite Besucherschleuse ist in aller Regel eine automatische, ein ausgeklügeltes System aus zwei nicht gleichzeitig zu öffnenden , hintereinander geschalteten Türen, die vermutlich durch ein computer-ähnliches Gehirn gesteuert und je nach Bedarf vom Bankpersonal beeinflusst werden. In vielen Fällen hat diese zweite Schleuse inzwischen die erste voll ersetzt und ist daher zur einzigen Schleuse aufgestiegen. Dafür hat sie sich aber so z sagen selbst dupliziert, denn sie tritt meist doppelt auf, d.h. als Eingangs- und als Ausgangsschleuse.

Die automatische Besucherschleuse trägt nicht nur erheblich zum Lokalkolorit bei; sie hat daneben mehrere Vorteile für die sie besitzende Bank: Sie weist unliebsame Besucher ab, reguliert den Besucherstrom gemäß der Arbeitskraft des verfügbaren Schalterpersonals und entlässt jeden Besucher erst dann wieder in die Freiheit, wenn er alles unterschrieben hat, was der Bank recht ist.

Betrachten wir nun die Eingangsschleuse; sie filtert und sortiert den Zustrom. Ein bewaffneter Bankräuber hat ebenso wenig Chancen, in die Bank einzudringen, wie eine Rentnerin ohne Abitur und entsprechendes Konto oder ein der Landessprache unkundiger Ausländer ohne ausgeprägten Sinn für Körpersprache.

Der Bankräuber, der seine Waffe offen trägt, kommt meist schon nicht durch die erste Tür, denn ein aufmerksamer Bankangestellter sorgt rechtzeitig für deren Verriegelung und das gleichzeitige Aufleuchten eines roten Lichtes mit der Inschrift “ALT” (was auf Italienisch “Halt” bedeutet). Da sieht der Ganove ganz schön alt aus! Er kann dem natürlich zu entgehen versuchen, indem er seine Waffe in der Jacke oder dem Mantel versteckt. Aber mit einer Pistole in der Westentasche muss er entweder besonders dünn oder ein wahrer Gummimensch sein, um sich in die bewusst eng gehaltene Schleuse zu zwängen. Meist passt entweder ein Bein oder ein Arm oder, was schlimmer für ihn ist, gar die Pistole nicht mehr in den Stauraum zwischen den beiden Türen. Schafft es der Bandit dennoch, ist er aber endgültig gefangen. Nicht nur die Bankangestellten, sondern auch die gesamte anwesende Kundschaft beobachtet nämlich seit geraumer Zeit seine ulkigen Verrenkungen, anzügliche Bemerkungen werden laut, Gelächter kommt auf, Wetten werden abgeschlossen, die Polizei ist alarmiert, die zweite Schleusentür verriegelt, das Hinweisschild auf “ALT”. Das Ende ist kläglich.

Über die Rentnerin ohne Abitur kann ich mir kein direktes Urteil erlauben, da ich keine solche je bewusst an der Eingangsschleuse in Aktion gesehen habe. Doch kommt mir die Funktionsweise der automatischen Besucherschleuse derart unmenschlich vor, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie ein Mensch ohne ein durch langjährige Schulerfahrung verformtes Hirn diese pawlowschen Konditionierungstests zu bestehen vermag. Lassen wir diesen Fall daher auf sich beruhen.

Bleibt der sprachunkundige Ausländer. Dazu zählte ich mich in Italien bis vor Kurzem eigentlich nicht so ganz. Ich hatte bereits mehrere Feuerproben bei Lautsprecheransagen auf italienischen Bahnhöfen mit Anstand absolviert und fühlte mich stark genug, auch in das Innere einer Bank vorzudringen. Bis die Sache mit der Schleuse geschah...

Mitten im Urlaub ging uns plötzlich das Bargeld aus (das soll auch bei anderen Leuten vorkommen). Also nichts wie zur Bank! Auch die automatische Schleuse machte uns keine Angst, denn an diese sind wir von Frankreich her gewöhnt: Den Knopf drücken, grünes Licht abwarten, die Tür aufstoßen, alles keine Kunst!

In der ersten Begeisterung (wir hatten außerhalb der Hauptreisezeit in einem kleinen Nest nach drei Kilometern Fußmarsch genau die sehr kurz bemessene Öffnungszeit eines respektablen Geldinstituts getroffen) übersahen wir das kleine Hinweisschild, das zu einzelnem Eintreten in die Schleuse auffordert. Mutig ging der Vater voraus, holte die Mutter ohne allzu große Verluste nach und machte sich daran, den Sohn stückweise in das Bankverlies zu zerren. Unter Ausnutzung aller anatomischen Möglichkeiten des menschlichen Körpers befand sich schließlich die ganze Familie zwischen einer Tür, die nicht mehr schließen wollte, und einer anderen, die sich nicht öffnen ließ, bevor die erste geschlossen war. Dies demonstriert einerseits die Enge des Besucherabwehrmechanismus und andererseits die jugendliche Schlankheit und Behendigkeit aller Familienmitglieder.

Nach minutenlangem Kampf, der bereits Publikum anzuziehen begann, glaubten wir uns endlich gerettet, denn beide Türen waren geschlossen. Zugleich ging ein nicht enden wollender Schwall von guten Ratschlägen aus einem versteckten Lautsprecher auf uns nieder. Zugegeben, der Klang war besser als auf dem Bahnhof, aber der Inhalt völlig unverständlich, weil mit der 100 km südlich von Neapel üblichen Geschwindigkeit vorgetragen. Das überforderte den Lautsprecher und unser Hörverständnis in italienischer Sprache. Derweil leuchtete uns erbarmungslos ein rotes “ALT” von der zweiten Tür entgegen.

Unser Knöpfedrücken nützte nur insofern etwas, als die dazu (wegen der Enge) notwendige Akrobatik erste Beifallsstürme der anwesenden Bankkundschaft hervorrief und so einen Angestellten auf uns aufmerksam machte. Dieser rief einen gebärdensprachbegabten Kollegen zur Hilfe, der uns unter Aufwendung all seiner Kunst klar zu machen schien, dass wir irgendwie falsch in der Schleuse standen.

Es entwickelte sich nun das bekannte Gesellschaftsspiel, bei dem drei Personen ihren Platz tauschen müssen, aber nur drei Plätze zur Verfügung stehen.

Nur durch Ausweichen in die dritte Dimension, waghalsiges Balancieren auf einem halben Fuß und blitzartiges Abgleichen möglicher, unmöglicher und vorhandener Rauminhalte gelang es uns schließlich, die richtige Körpermasse an den richtigen Ort zu manövrieren. Das grüne Licht erschien. Wir waren gerettet.

Noch ein letzter Knopfdruck, ein letzter Ringkampf mit der verkanteten zweiten Tür, ein letztes Einsammeln der eigenen Gliedmaßen, und wir quollen in die Bank hinein.

Wieder hatte der menschliche Geist über die rohe Materie gesiegt...

Man wird es mir nachsehen, wenn ich nach dieser außergewöhnlichen Anstrengung davon Abstand nehme, den kaum weniger mühsamen Rückweg in die Freiheit zu beschreiben.

Hans-Rudolf Hower 1993

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Letzte Aktualisierung: 06.04.16