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Frankfurter Würstchen

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Frankfurter Würstchen sind merkwürdige Gebilde. Sie ähneln zwar – oberflächlich gesehen – den Wiener Würstchen, aber sobald man reinbeißt, stellt man fest, dass eine Verwechslung unmöglich ist. Diese Sanftheit der dünnen Haut, dieser feine, unaufdringlich Geschmack und der zarte Biss – sind genau die Eigenschaften, die der Liebhaber des Wiener Würstchens dem Frankfurter Würstchen als ihn langweilende Fadheit vorwerfen wird. Oder so ähnlich.

Da es uns hier aber nicht wirklich um die Wurst geht, sondern um ihre Benennung, müssen wir leider feststellen, dass das Frankfurter Würstchen ein vaterlandsloser Geselle ist, der nicht weiß, wo er hingehört. Ja, noch nicht einmal in Bezug auf seinen Namen will sich dieses Würstchen festlegen lassen. Während es in Deutschland unter dem Namen Frankfurter Würstchen vorgibt, an der Wiege der deutschen Demokratie groß geworden zu sein, gibt es in Frankreich schamloserweise vor, aus Straßburg zu kommen, denn es nennt sich dort saucisse de Strasbourg. Natürlich behaupten die Franzosen, dass das Straßburger Würstchen etwas „ganz Anderes” sei als das Frankfurter Würstchen. Aber hallo! Zwei grundverschiedene Wurstsorten auf ganze 220 km Entfernung? Trauen wir das den Metzgern zu? Beißen Sie einfach mal rein! Und vergessen wir nicht, dass es auch noch die andere Konkurrenz, die aus Wien gibt, geografisch fast 900 km entfernt, aber kulturell sehr sehr nah!

Und so sehen sie aus, die armen Würstchen:

frankfurter_wuerstchen.gif

Frankfurter Würstchen

saucisse_de_strasbourg.gif

Saucisse de Strasbourg (Straßburger Würstchen)

wiener_wuerstchen.gif

Wiener Würstchen

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Aber kommen wir doch endlich zu unserem eigentlichen Thema, dem sprachlichen Material all dieser Würstchen! Ist Ihnen schon aufgefallen, auf was für eine sprachlich abgefahrene Weise diese armen Würstchen grammatikalisch verhackstückt werden? Jedes dieser Kunstwerke des Metzgerhandwerks wird im Deutschen nämlich mit einem Substantiv als kleine Wurst bezeichnet, aber mit einem beigefügten Attribut einem bestimmten Ort zugeschrieben. Und dieses Attribut ist das Problem. Was ist das für eine Wortart? Und wo ist die Deklination geblieben?

Leider kann ich hier keine fertige Lösung präsentieren, zumal die üblichen Sprachwerke auch nicht unbedingt zur Klarheit beitragen. Aber schauen wir mal etwas näher hin! Der Vergleich eines „normalen” adjektivischen Attributs mit dem Würstchenattribut fällt doch auf! (Dass ich in der folgenden das Frankfurter mit dem Wiener Würstchen vertausche, hat keinerlei gastronomische oder gar nationale Bedeutung. Das Wiener Würstchen ist einfach kürzer – nein, natürlich nicht das Würstchen, sondern der deutsche Ausdruck dafür – und passt deswegen besser in die Tabelle.)

 

Normal

Geografisch

Wer?

das arme Würstchen / ein armes Würstchen

das Wiener Würstchen / ein Wiener Würstchen

Wessen?

des armen Würstchens / eines armen Würstchens

des Wiener Würstchens / eines Wiener Würstchens

Wem?

dem armen Würstchen / einem armen Würstchen

dem Wiener Würstchen / einem Wiener Würstchen

Wen?

das arme Würstchen / ein armes Würstchen

das Wiener Würstchen / ein Wiener Würstchen

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Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Attribut Wiener (oder Frankfurter oder Hintertupfelshausener oder ...) ist vollkommen deklinationsresistent. Ein deklinatorischer Totalverweigerer sozusagen. Das kann also kein normales Adjektiv sein. Denn ein solches wird immer gemäß seiner Stellung im Satz dekliniert.

Hier muss gesagt werden, dass auffallend viele Städte- und Ortsnamen eine solche deklinationslose Verwendung aufweisen. Das ist eigentlich ein durchgängiges Phänomen von Aachener bis Zweibrückener. Es gibt zum Beispiel die Karlsbader Oblaten, die Berchtesgadener Milch, die Rügenwalder Mühle (natürlich sind das Marken, aber sprachlich gehören sie zu unserem Problem), den Starnberger See und – zumindest sprachlich – auch den Zweibrückener Zwiebelkuchen. Bei den Ortsnamen auf -en gibt es manchmal eine verkürzte Variante, zum Beispiel Münchner statt Münchener, Neckarhäuser statt Neckarhausener. Manche Ortsnamen auf -en treten auch nur in verkürzter Form auf: Siehe Schwetzinger Spargel, Edinger Neckarschleimer. Aber das Grundproblem bleibt das gleiche.

Auch Bundesländer und Gegenden werden in gleicher Weise behandelt. Da gibt es den Pfälzer Saumagen, den Elsässer Flammkuchen, die Thüringer Bratwurst. Schon wieder Wurst; liegt's etwa an der Wurst? Nein, natürlich nicht. Es hat auch nichts mit Essen und Trinken, also gastronomischen Spezialitäten zu tun, obwohl diese stark vertreten sind. Denn es gibt auch eine Kemptener Straße, eine Münchener Straße und wahrscheinlich auch einen Buxtehuder Weg.

Die spezielle Adjektivbildung ist – deutschsprachig – bis ins Ausland verbreitet, doch nur, soweit der ausländische oder eingedeutschte Name das hergibt, und selbst dann nicht immer. Da gibt es zwar das Pariser Nachtleben ebenso wie die Mailänder Scala, die Moskauer Straße und den Tokioter Kriegsverbrecherprozess, aber versuchen Sie mal die Regel auf andere Namen anzuwenden! Schon bei Rom geht es nicht, bei Neapel auch nicht, bei Marseille, Nizza und Reims nur ungern, und schon gar nicht bei Aix-en-Provence, Bar-le-Duc, Bordeaux oder Nîmes.

Und was auch nicht geht, sind Ausdrücke, die ein Wort mit einem Gewässer näher bestimmen. Es gibt – rein sprachlich – keinen Rheiner Spargel, Donauer Anrainer oder Neckarer Schleimer.

Da Thüringer in Ordnung geht (wie oben gesehen), könnte man meinen, dass auch alle anderen Bundesländer so behandelt werden können. Aber schauen wir mal näher hin:

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Land

Bewohner

Deklinationsloses Adjektiv

Anhalt

Anhalter

Anhalter Bahnhof

Baden

Badener

Badener Zeitung

Baden-Württemberg

Baden-Württemberger

Baden-Württemberger Pferde

Bayern

Bayer

---

Berlin

Berliner

Berliner Stadtleben (vom Städtenamen beeinflusst)

Brandenburg

Brandenburger

Brandenburger (möglicherweise vom Städtenamen Brandenburg beeinflusst)

Hessen

Hesse

---

Mecklenburg

Mecklenburger

Mecklenburger Seenplatte (selten, neben Mecklenburgische Seenplatte)

Niedersachsen

Niedersachse

---

Saarland

Saarländer

Saarländer Straße

Sachsen

Sachse

---

Schleswig-Holstein

Schleswig-Holsteiner

Schleswig-Holsteiner Küche

Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalener (Auto-Aufkleber)

Nordrhein-Westfalener (selten)

Vorpommern

Vorpommerer

Vorpommerer Spezialitäten

Westfalen

Westfale

---

Württemberg

Württemberger

Württemberger Warmblut (Pferderasse)

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Wenn man von lokalpatriotisch-humoristischen Neubildungen wie Nordrhein-Westfalener absieht, fällt auf, dass bei all den Bundesländern, deren Einwohner einen nicht mit angehängtem -er aus dem Landesnamen hergeleiteten Namen tragen, kein deklinationsloses Adjektiv in Gebrauch ist. Ein solches Adjektiv ist also auf jeden Fall eng mit dem Namen der Einwohner verbunden. Dazu passt, dass aus Gewässernamen in der Regel keine deklinationslosen Adjektive hergeleitet werden, denn Gewässer haben gewöhnlich keine menschlichen Einwohner.

Aber auch Namen von Staaten geben meist keine deklinationslosen Adjektive her – mit Ausnahme des Schweizer Käses. Eine Extrawurst für die Scheizer? Nicht ganz. Es gibt die Zeitungen Liechtensteiner Vaterland und Liechtensteiner Volksblatt. Aber schon bei den Luxemburgern muss man sich fragen, ob das deklinationslose Adjektiv nicht eher vom Namen der Hauptstadt kommt und ob man nicht einen feinen Unterschied zwischen Luxemburger (von der Stadt) und luxemburgisch (vom Staat) feststellen kann.

Es gibt nun zwei verschiedene Arten der Betrachtung, von denen jede ihre eigenen Schwächen und Stärken hat, nämlich die diachronische (historische) Betrachtung und die synchronische (rein gegenwartsbezogene) Betrachtung.

Die diachronische Betrachtung geht der Frage nach, wie sich die heutige Ausdrucksweise im Laufe der Sprachgeschichte entwickelt hat – oder haben könnte. Es scheint klar zu sein, dass die Entwicklung über den Namen der Einwohner einer Ortschaft oder einer ganzen Gegend gegangen sein muss. Es ist vorstellbar, das am Anfang zusammengesetzte Substantive vom Typ Franziskanermönch oder Frankfurterwürstchen gestanden haben, die irgendwann nicht mehr zusammengeschrieben und als Folge davon anders betont wurden als vorher. Aus Frankfurterwürstchen wäre dann allmählich Frankfurter Würstchen geworden. Das wäre möglich, aber kann man es wirklich nachweisen?

Die synchronische Betrachtung stellt einfach das Endergebnis dieses Prozesses, nämlich den heutigen Stand der Dinge dar. Und dieser besagt, dass es in der heutigen deutschen Sprache eine Klasse von Adjektiven gibt, die einen Bezug zu einer bewohnten Örtlichkeit herstellen, namensgleich mit besagten Bewohnern sind und in attributiver Stellung nicht dekliniert werden. Das stellt – gelinde gesagt – die ganze deutsche Grammatik auf den Kopf.

Ein anderer als attributiver Gebrauch dieser Adjektive ist selten eindeutig nachzuweisen, da man diese Vorkommen meist als Ellipse (Auslassung) oder Substantivierung erklären kann. In Ich mag Frankfurter und Regensburger Würstchen, ziehe aber die Regensburger vor kann man sogar beides gleichzeitig hineinlesen. Die Nagelprobe bringt erst ein Satz, in dem das Adjektiv im Dativ steht. Soll man sagen: Den Regensburger gebe ich den Vorzug oder Den Regensburgern gebe ich den Vorzug? Persönlich empfinde ich Ersteres als logischer, denn wenn man Letzteres vorzöge, würde man meines Erachtens die Würstchen mit den Einwohnern verwechseln. Als Substantiv wird deren Name ja dekliniert...

Dass heute diese Adjektive großgeschrieben werden (müssen), kann geschichtliche Gründe haben (das zusammengeschriebene Frankfurterwürstchen war ja ein Substantiv); es kann aber auch damit zusammenhängen, dass die deklinationslosen Adjektive oft zu Ausdrücken gehören, die wie Eigennamen zu behandeln sind. So ist ja ein Frankfurter Würstchen als Ganzes ein stehender Begriff, eine Marke, eine Art Eigenname. Aber wie ist das mit einem frankfurter, pardon, Frankfurter Kanaldeckel, oder dem Augsburger Straßenpflaster? Da wird noch viel Tinte fließen, bis die Kleinschreibung erlaubt wird...

Falls Sie eine eigene Meinung zu diesem Thema haben, halten Sie damit bitte nicht hinterm Berg! Vielen Dank im Voraus für Ihre Zuschrift!

Hans-Rudolf Hower 2015

Das Foto der Frankfurter Würstchen stammt aus der dt. Wikipedia unter Creative Commons licenses by 2.0, das Foto der Wiener Würstchen aus der dt. Wikipedia unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license, das Foto der Straßburger Würstchen aus der frz. Wikipedia unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.

Bild: Hundi lebt

Danke!

Vielen herzlichen Dank an Moustafa Rechid, der mich überhaupt erst dazu gebracht hat, über das Thema dieser Seite nachzudenken!

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Letzte Aktualisierung: 04.04.16