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In meinem Buch Zwischen Saurierpark und Zukunftsmusik (s.u.) habe ich öfters lateinische Akkusativformen als Ausgangspunkt der Entwicklung zum Altfranzösischen genannt, meist mit der Endung -u(m) (männlich) oder -a(m) (weiblich). Dabei steht das m immer in Klammern, weil es bereits im Latein am Verstummen war. Von Lesern des Buches kam die Frage: Woher weiß man überhaupt, dass die heutigen Formen der französischen Substantive und Adjektive – soweit sie vom Latein abstammen - aus dem Akkusativ gebildet wurden?

Um es vorweg zu sagen: Mit der Herleitung der meisten französischen Nomina vom lateinischen Akkusativ bin ich in guter Gesellschaft (auch Robert gehört dazu), aber einige Autoren verweisen doch lieber auf den lateinischen Ablativ. Bei diesem meist didaktisch motivierten Vorgehen hat anscheinend jeder seine Vorlieben, aber kann man das wirklich sicher und einigermaßen umfassend entscheiden? (Dass einzelne Wörter ganz eigenen Entwicklungswegen gefolgt sein können, ist eine andere Geschichte.)

Zur Lösung der Frage könnte der Umstand beitragen, dass die heutigen französischen Formen auf dem Umweg über das altfranzösische Zwei-Fälle-System entstanden sind. Dadurch wurden bereits im Mittelalter die Herleitungsmöglichkeiten eingeschränkt. Aber reicht das für eine eindeutige Festlegung?

Was wir sicher wissen, ist das Aussehen des ebenso einfachen wie unscharfen altfranzösischen Deklinationssystems. Und wir wissen auch, dass der „Taktgeber“ der Entwicklung die in der lateinischen Volkssprache immer häufiger gebrauchte a/o-Deklination war. (Sprachwissenschaftler nennen diese Sprache meist Vulgärlatein. Ich vermeide diesen Ausdruck, denn er könnte Leser in die Irre führen. Vulgär meint hier nicht unanständig, sondern volkstümlich.) Von welchen lateinischen Fällen aus konnten die französischen Lautgesetze zu dem bekannten Ergebnis führen? (Das Neutrum erscheint hier nicht, denn es war als grammatisches Geschlecht aufgegeben worden und formenmäßig in den Maskulina aufgegangen, eine Entwicklung, die bereits im volkstümlichen Latein begonnen hatte.)

Zahl

Singular

Plural

Fall

Casus rectus

Casus obliquus

Casus rectus

Casus obliquus

Maskulinum

-s

-

-

-s

Femininum

-e

-e

-es

-es

Um es kurz zu machen: Drei Formen des casus rectus kommen eindeutig von den lateinischen Nominativformen her. Nur für den casus rectus des Femininum Plural muss man eine analoge Nachbildung bemühen, um das Ergebnis zu erklären. Das hat aber vieles für sich. Als Ergebnis gibt es bei den Feminina keine Unterscheidung mehr zwischen rectus und obliquus. Damit wird die weitere Sprachentwicklung bis zum Neufranzösischen vorgeprägt.

Konzentrieren wir uns also auf die Maskulina, weil nur bei ihnen der casus rectus eine eigene Form hat. Der casus rectus ist jedoch bis auf seltene Ausnahmen mit dem Altfranzösischen untergegangen, also für das heutige Französisch irrelevant. Vater der modernen französischen Wortformen ist also der casus obliquus. Nur, wo kommt dieser her?

Den lateinischen Genitiv Plural können wir wegen seiner sperrigen Formen als Formgeber ausschließen, aber Dativ, Akkusativ und Ablativ Plural ergaben auf dem Weg zum Altfranzösischen untereinander gleichlautende Formen. Im Singular fielen sogar Genitiv, Dativ, Akkusativ und Ablativ formal zusammen, weil das -m schon in der lateinischen Sprache schwächelte. Es gab nur einen (schwach ausgebildeten) Unterschied zwischen den einander entsprechenden männlichen und weiblichen Formen. (Der Geschlechtsunterschied – mit oder ohne -e – ist schwach, denn er wirkt nicht durchgehend, weil auch männliche Nomina – nach Konsonantenhäufung – auf -e enden können. Also haben wir keine formale Unterscheidungsmöglichkeit zwischen all diesen Fällen. (Wie immer gibt es Ausnahmen, doch davon später.) Funktional steht es ganz ähnlich, da der casus obliquus die Funktionsmöglichkeiten von Dativ, Akkusativ, Ablativ und sogar Genitiv in sich aufnimmt.

Das Problem ist nur: Wie soll man die Entwicklung vom Latein zum Französischen erklären, ohne gleich drei oder vier mögliche lateinische Ausgangsformen nennen zu müssen? Da es hauptsächlich darauf ankommt, zu zeigen, dass gerade der Nominativ in der Regel nicht die Ausgangsform war, reicht es, wenn man stellvertretend für alle im casus obliquus zusammengefallenen Fälle einen einzigen als Stammvater der neufranzösischen Nomina nennt. (Das gilt auch oft für die Endungen der Wörter nicht-lateinischer Herkunft, wenn diese auf dem Weg über das Volkslateinische in das altfranzösische Deklinationsschema integriert wurden.) Warum nicht den Akkusativ? Gibt es dafür Argumente?

Für den Akkusativ sprechen Wörter wie die folgenden. Sie gehören zu den seltenen Beispiele, bei denen Reste der Akkusativendung bis heute erhalten sind.

  • Das Substantiv bzw. die Verneinung rien kommt eindeutig vom lateinischen Akkusativ rem, der zu res (Sache) gehört. Das -m der Endung blieb – regelgerecht – als -n erhalten, weil die Endung nicht vom einsilbigen Stamm zu trennen und dadurch betont war. (Die Wortbetonung ist erst später verschwunden.)
  • Das Wort œuvre ist ein Beispiel dafür, wie es einigen lateinischen Neutra ergangen ist. Schon im Latein gab es eine Tendenz, den auf -a endenden Nominativ und Akkusativ Plural der Neutra mit einem femininen Singular zu verwechseln und schließlich das Wort in dieser Form als Femininum zu verwenden. So findet man (nach Robert) bereits bei Plautus opera als Femininum Singular statt des zu erwartenden opus, und aus opera wurde dann œuvre nach den Gesetzen der französischen Lautentwicklung – mit einem neu gebildeten Plural œuvres.
  • Am Wort temps (Zeit) sieht man die Folgen der Beibehaltung der Akkusativendung eines lateinischen Neutrums im Singular. Da diese Art Wörter stets Nominativ = Akkusativ hatte, wurde das altfranzösische Wort von lateinisch tempus aus gebildet. Das ergab nach dem bei Konsonantenhäufungen üblichen Rauswurf des in der Mitte stehenden -p- die Formen tens und tans. (Das Nebeneinander der beiden Formen zeigt, dass damals -en- und -an- bereits gleich ausgesprochen wurden.) Erst später hat man -mp- etymologisierend wiederhergestellt, was problemlos möglich war, weil sich dadurch die Aussprache nicht änderte. Robert argumentiert ganz ähnlich.
  • Ähnlich liegt der Fall bei corps (Körper). Aus dem lateinischen Akkusativ Singular corpus entstand das altfranzösische cors. Dauzat nennt dafür Quellen aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Erst später fügte man das verstummte -p- etymologisierend wieder ein.
  • Das -n der männlichen Possessivpronomina für die drei Personen des Singulars, die unbetont mon, ton, son und betont mien, tien, sien lauten, ist ebenfalls der klägliche Rest der lateinischen Akkusativendung. (Dass später mit mienne(s), tienne(s), sienne(s) analoge feminine Formen „dazugebastelt“ wurden, ist eine andere Geschichte.
  • Da menschliche Sprachen typischerweise fast nie ein perfektes System bilden, muss natürlich auch bei der hier behandelten Frage mit Ausnahmen gerechnet werden. Hier einige Wörter, die aus der Reihe tanzen.

  • Das Personalpronomen on (man) stammt vom lateinischen Nominativ homo und dem daraus entstandenen altfranzösischen casus rectus huen / on ab. (Nach Dauzat. Betont: huen, unbetont: on. Das Wort homme kommt dagegen – „wie es sich gehört“ – vom casus obliquus, der wiederum vom lateinischen Akkusativ homine(m) abstammt. – Ja, auch Dativ und Ablativ hätten die gleiche Form ergeben.)
  • Einige männliche Vornamen wie Georges und Gilles haben das -s ihres altfranzösischen casus rectus beibehalten. Bei Hugues ist es sogar die ganze Form.
  • Das Pronomen leur stammt vom Genitiv Plural illoru(m) des lateinischen Demonstrativpronomens ille. Es hat als Possessivpronomen die dem Genitiv eigene besitzanzeigende Funktion: Ils sont allés voir leur famille. Als Personalpronomen hat es dagegen die Funktion des indirekten Objektes (also des lateinischen Dativs) übernommen: Il leur a donné des cadeaux. Die Funktion der betonten Form und des indirekten Objektes im Singular hat dagegen lui übernommen, und dieses kommt vom Dativ Singular *illui desselben Demonstrativpronomens ille. (Falls Sie's genau wissen wollen: Zwar ist *illui nur eine angenommene volkssprachliche Form – für klassisch-lateinisch illi, aber ohne sie kann man auch ähnliche Formen anderer Wörter nicht erklären (autrui, celui). Sie könnte in Analogie mit dem Dativ cui des viel gebrauchten lateinischen Interrogativ- und Relativpronomens qui entstanden sein.)
  • Auch das Substantiv genre (Geschlecht, Stamm, Genre) kommt eindeutig nicht vom lateinischen Akkusativ, der ja wie der Nominativ genus hieß. Nur Genitiv, Dativ und Ablativ verwendeten den erweiterten Stamm gener-. Da der Genitiv aber eine auf -s endende Form hervorgebracht hätte, kann man ihn hier ausscheiden. Möglich bleiben hingegen Dativ und Ablativ – oder eine Ansteckung durch generu(m), den Schwiegersohn, der im Altfranzösischen gendre ergab, genau wie das Genre. Nur hat man den Schwiegersohn bis ins Neufranzösische unverändert gelassen, während man beim Genre das lautgesetzlich bedingte d etymologisierend wieder entfernt hat.
  • Diese vereinzelten Ausnahmen gehen völlig eigene Wege und stellen meines Erachtens nicht die allgemeine Annahme in Frage, dass in der Regel der lateinische Akkusativ – auf dem Weg über den altfranzösischen casus obliquus – zu den neufranzösischen Nominalformen geführt hat. Auch Robert teilt diese Meinung, wie man an seinen Etymologien sehen kann.

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    Autor / Titel

    Anmerkungen

    Info / Kauf

    Dictionnaire historique de la langue française, bei Le Robert, Hrsg. Alain Rey

    Ein sehr umfangreiches französisches Standardwerk.

    Näheres siehe Besprechung.

    Dauzat, Dubois, Mitterand, Nouveau dictionnaire étymologique et historique, Librairie Larousse

    Eine gute, leichtere Ergänzung und manchmal Gegendarstellung zum Robert. .

    Näheres siehe Besprechung.

    Hans-Rudolf Hower, Zwischen Saurierpark und Zukunftsmusik

    Meine Blütensammlung aus Denk- und Merkwürdigkeiten der französischen Sprache.

    Näheres siehe Besprechung.

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    Letzte Aktualisierung: 05.04.16