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Nach einer alten Schulweisheit gibt es im Französischen zwei Arten von h. Das eine ist unbehaucht, kommt vom Latein und wird behandelt, als ob es nicht da wäre (wird also nicht gesprochen). Deshalb schreibt man z.B. lhaleine und sagt laleine. Das andere ist behaucht, kommt vom Germanischen und ist beim Sprechen auf keinen Fall auszulassen. Deshalb schreibt und spricht man z.B. le héraut, wobei man von dem h selbst zwar ebenfalls nichts hört, aber seine Anwesenheit verhindert die liaison, d.h. die Verkürzung des Artikels und das lautliche Verschmelzen der beiden Wörter.
Dass die Wirklichkeit etwas komplexer ist als das, was man den Schülern so erzählt, sieht man schon daran, dass zwar haleine letztendlich vom lateinischen Verb anhelare abstammt, aber nur indirekt, denn es wurde wohl vom französischen Verb halener aus gebildet, das zwar von anhelare kommt, aber trotzdem mit einem behauchten h anfängt: je halène...
Und héraut ist der einzige behauchte Ausrutscher in einer ansonsten durchweg unbehauchten Wortfamilie: siehe héraldique und andere.
Aber es kommt noch schlimmer: Man sagt und schreibt tatsächlich lhinterland und lhitlérisme trotz des germanischen h, aber le huguenot, obwohl der Hugenotte vom deutschen Eidgenossen kommt, der überhaupt nicht mit h anfängt...
Lassen wir die Statistik sprechen, mit der man bekanntlich alles beweisen kann. Die dabei zu Grunde gelegten französischen Wörter wurden unter Behauchtes h im Französischen (alphabetische Wortliste) zusammen gestellt und unter Behauchtes h im Französischen (Wörter nach Sprachgruppen) nach Herkunft sortiert.
Unter Inkaufnahme einiger möglicher Ungenauigkeiten kann man folgende Herkunftstabelle der so genanntes behauchtes h enthaltenden französischen Wörter aufstellen:
Herkunft |
Absolute Zahl |
Relativer Anteil |
Germanisch |
273 |
54,2 % |
Romanisch (letztlich Latein) |
84 |
16,7 % |
Germanisch-romanische Kreuzung |
40 |
7,9 % |
Lautmalerei |
27 |
5,4 % |
Semitisch (Arabisch, Hebräisch) |
25 |
5,0 % |
Herkunft umstritten oder unbekannt |
15 |
3,0 % |
Griechisch |
12 |
2,4 % |
Ungarisch |
11 |
2,2 % |
Sonstige (Afrikanisch, Chinesisch, Hindi, Japanisch, Karibisch, Persisch, Slawisch, Tatarisch, Türkisch) |
17 |
3,3 % |
Summe |
504 |
100 % |
Man sollte keine Statistik unkommentiert lassen. Daher einige Bemerkungen zu Obigem:
Der hohe Anteil germanischer Wörter zeigt, dass die eingangs erwähnte Schulweisheit nicht ganz falsch ist. Wenn man aber aus der Tabelle all die Wörter entfernte, die zwar aus hochliterarischen oder historischen Gründen noch in den französischen Wörterbüchern stehen, aber vom heutigen französischen Mann (oder Frau) auf der Straße nicht mehr benutzt werden, käme man nicht nur auf eine bedeutend geringere Gesamtzahl von Fällen, sondern es fielen unverhältnismäßig viele germanische Wörter weg, obwohl neuerdings durch die steigende Tendenz zum Franglais über das amerikanische Englisch vermehrt neue germanische Ausdrücke ins Französische eindringen.
Interessanterweise wird das h der dem modernen Englisch entnommenen Wörter wie "handicap" und "handicaper" zwar laut Wörterbuch behaucht, aber zumindest bei les handicapés besteht die Tendenz, die Behauchung aufzugeben. So deutsche Wörter wie hinterland, hitlérien und hitlérisme wurden dagegen nie behaucht. Warum? Hier tritt die wichtigste Regel aller Sprachentwicklung in Kraft: Es ist eben so. Es ist nicht immer erklärlich, warum der Volksmund sich in eine bestimmte Richtung statt in eine andere entwickelt. Einen Denkansatz kann le haricot vermitteln: Dieses Wort hat in der scherzhaft-saloppen Redewendung Il me court sur lharicot! (Er geht mir auf die Nerven!) die Behauchung verloren. Und irgendwann (in Jahrzehnten, in Jahrhunderten?) steht es dann wohl auch so im Wörterbuch...
Erstaunlich sind jedoch die große Zahl behauchter h romanischer Abstammungen. Da zur Zeit der Abzweigung der französischen Volkssprache vom Latein das lateinische h schon lange nicht mehr gesprochen wurde, besteht hier Erklärungsbedarf.
Einer der Gründe für die unerwartet hohe Zahl der Wörter lateinischen Ursprungs mit behauchtem h ist der volkstümliche sprachliche Kuddelmuddel, sprich: die Kreuzung lateinischer Wörter mit denen anderer Herkunft. Man muss sich das so vorstellen, dass zwei Wörter verschiedener Herkunft einige Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte nebeneinander gebraucht werden, sich wegen ähnlicher Aussprache im alltäglichen Gebrauch gegenseitig beeinflussen und letztlich zu einer Art Nachkommen verschmelzen, der Eigenschaften aus beiden ursprünglichen Wörtern besitzt. Und wie bei lebenden Wesen kann der Nachkomme mal mehr der Mutter, mal mehr dem Vater ähneln - oder auch wie ein Transvestit aussehen. So kam z.B. das lateinische altum (gesprochen [altu], dann [aut], schließlich [o]) zu seinem behauchten h vom gleichbedeutenden germanischen hoch (gesprochen [hox], dann [ho], schließlich [o]).
Die hohe Zahl der germanisch-romanischen Kreuzungen kommt in der Tat hauptsächlich von der sagenhaften Karriere eines einzigen Wortes, das sich zu einer weitverzweigten Familie ausgebreitet hat, nämlich lateinisch altum (hoch). Nach Meinung derer, die es wissen müssen, wurde dieses Wort durch die Kreuzung mit dem altfränkischen Wort, von dem das neuhochdeutsche hoch abstammt, zum jetzigen französischen haut. Die Familie reicht von der hausse der Börsianer über die Oboe (hautbois) der Musiker, den haut-commissaire der UNO, den haut-le-corps zu schneller Autofahrer, den haut-parleur sämtlicher Bahnhöfe und 22 andere Ausdrücke bis zum hauturier der Marine. Die drei weiteren Kreuzungen betreffen das lateinische hasta (Lanze), sind jedoch im Zeitalter des Atom- und Computerkrieges technologisch veraltet...
Ein weiterer Grund für behauchtes h in Wörtern lateinischer Herkunft besteht darin, dass die Eigenheit der liaison, d.h. der engen lautlichen Verbindung aufeinander folgender Wörter im Satz, nicht in allen romanischen Sprachen im gleichen Maß und in einigen überhaupt nicht besteht. Wenn also ein lateinisches Wort, wie oft geschehen, nicht direkt vom Latein, sondern auf dem Umweg über das Spanische zum Französischen gelangt ist, erscheint das h als behaucht, d.h. liaison-verhindernd, obwohl es im Spanischen diese Funktion gar nicht hatte. Im Spanischen kommt es auch dann nicht zur liaison mit dem Artikel, wenn das Substantiv mit einem Selbstlaut anfängt (z.B. la origen).
Das normalerweise nicht gesprochene und wegen der fehlenden Übung nur mit einem ungewohnten Aufwand an Kraft und Atem hervorzubringende h bietet sich im Französischen auch heute noch für ausdrucksvolle, aggressive oder lustige Lautmalereien an. Dies erklärt den hohen Anteil von lautmalerischen Ausrufen und davon abgeleiteten Wörtern.
Bei den arabischen und hebräischen, d.h. semitischen Ausdrücken sind nur hammam, harem, harissa, harki, hasard samt Ableitungen, ha(s)chi(s)ch und henné allgemein gebräuchlich. Die restlichen gehören den Spezialisten. Lautlich besteht hier kein Problem, denn in den semitischen Sprachen wird das h wirklich ausgesprochen (sogar in bis zu drei Varianten). Es ist also normal, dass im Französischen ein behauchtes h daraus wurde.
Auch das Ungarische kennt (nur) ein behauchtes h. Außerdem kamen ungarische Wörter u.U. auf Umwegen über germanische Sprachen, v.a. das Deutsche, ins Französische. Auch hier hat die Behauchung im Französischen eine Berechtigung.
Anders das Griechische: Wie das Lateinische hat das Griechische den Laut h (der dort übrigens nie als eigener Buchstabe, sondern nur als Akzent über einem Vokal oder dem Konsonanten rho existiert hat) bereits früh verstummen lassen. Was man im Neugriechischen heute als h hören kann, ist in Wirklichkeit der Buchstabe chi, der lautlich zu h abgeschwächt wurde. Warum dann das behauchte h im Französischen? Ein Beispiel (la harasse) stammt tatsächlich von einem chi (charax), doch die anderen Fälle können nur als gelehrte oder kirchliche Ausdrücke zu ihrem behauchten h gekommen sein. Bei le héro gibt es außerdem die volksetymologische Deutung, daß man nur auf diesem Wege les héros von les zéros unterscheiden kann... Vielleicht hat man also nur deshalb bei lhéroïne auf die Behauchung verzichten können, weil bei einer Heldin der Abstand zur Null klar war? Und was ist mit der Verwechslungsgefahr, die mit der Droge Heroin besteht? Die gleiche Verwirrung herrscht bei der behauchten Hierarchie (Wörter auf hiérarch-), die den unbehauchten Heiligtümern (Wörter auf hiéro-) gegenübersteht, obwohl beide vom selben griechischen Adjekiv für heilig stammen.
Bei den unter Sonstige vertretenen Sprachen steuert jede einzelne nur wenige Beispiele behauchter h bei. Man müsste bei jeder dieser Sprachen prüfen, ob es in ihr wirklich ein solches h gibt (gegeben hat) bzw. auf welchem Weg die Behauchung im Französischen zustande gekommen ist. Doch ist diese ganze Sprachengruppe hier statistisch nicht sehr relevant.
Ein oft schwer nachzuvollziehendes Phänomen besteht darin, dass Wörter und Redeweisen oft auf dem Weg über eine dritte Sprache oder sogar weitere Sprachen ihren Weg ins Französische gefunden haben und von den Eigenheiten der "Gastsprachen" etwas an ihnen hängen geblieben ist. Dies trifft nicht nur auf Wörter weit entfernter Länder zu (z.B. aus Amerika, Ostasien), sondern auch innerhalb Europas wurde und wird ständig bei Nachbarn, Vormächten und Lieblingsnationen kreuz und quer ausgeliehen und übernommen. Was taugt dann z.B. noch die Aussage, dass ein Wort lateinischen Ursprungs ist, wenn es nach jahrhundertlangem germanischem Exil nach Frankreich gekommen ist?
Schlussfolgerung
Die eingangs zitierte Schulweisheit, nach der das behauchte h im Französischen von der germanischen Herkunft der betreffenden Wörter kommt, stimmt nur in etwas mehr als der Hälfte der Fälle (54,2 %). Dazu kommen noch 7,9 % germanisch-romanische Kreuzungen. Der germanische Einfluss wirkt sich also in rund 62 % der Fälle aus.
Daneben gibt es ungefähr 7-11 % von Fällen (je nach Einordnung der noch zu untersuchenden sonstigen Sprachen), die durch die Herkunft von anderen, ein behauchtes h aufweisenden Sprachen bedingt sind, sowie 5,4 % hausgemachte Lautmalereien.
Obwohl das Latein zur Zeit der Ausbildung der romanischen Sprachen gar kein behauchtes h mehr kannte, trägt es immerhin 16,7 % der Fälle von behauchtem h bei. Wegen seines Anteils an den germanisch-romanischen Kreuzungen (7,9 %) kommt das Latein sogar auf einen beachtenswerten Gesamtanteil von 24,6 %.
Literatur
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Meine persönlichen Tipps
Autor / Titel |
Anmerkungen |
Info / Kauf |
Hans-Rudolf Hower, Zwischen Saurierpark und Zukunftsmusik |
In diesem Buch, das viele Denk- und Merkwürdigkeiten der französischen Sprache bespricht, finden Sie auch den hier präsentierten Artikel über das behauchte h (h aspiré). |
Siehe Besprechung. |
Dictionnaire historique de la langue française, bei Le Robert, Hrsg. Alain Rey |
Ein sehr umfangreiches französisches Standardwerk. |
Siehe Besprechung. |
Wolfgang Reumuth und Otto Winkelmann, Praktische Grammatik der französischen Sprache |
Meine Lieblingsgrammatik für den ständigen Gebrauch. |
Siehe Besprechung. |
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Letzte Aktualisierung: 04.04.16