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Problemstellung

Endstadien und Todesarten

Wiedergeburt

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Literatur

Problemstellung

Sprachen sind Ausdrucksweisen lebender Wesen und können daher mit diesen entstehen und wieder vergehen. Falls eine Sprache das Glück hat, in einer der Schrift mächtigen Kultur beheimatet zu sein, kann sie auch nach ihrem „Tod" sozusagen als Fossil in vergangenen Schriften weiterleben. Fehlen schriftliche Zeugnisse, kann eine Sprache nach dem Tod ihres letzten Muttersprachlers schlicht und einfach vergessen werden und - bis auf einige Zitate in anderssprachigen Dokumenten - aus dem kulturellen Leben der Menschheit verschwinden.

Auch bei Sprachen gilt der landläufige Spruch, dass Totgesagte länger leben. So wurde das Latein jahrzehntelang als Bildungsinhalt geschmäht und allmählich aus den Lehrplänen der deutschen Schulen verdrängt. Und nun, Anfang des 21. Jahrhunderts, wächst auf einmal wieder die Nachfrage von Schülern und Eltern nach Lateinunterricht. Die Gründe dafür sind komplex. Sicher spielt da der Wunsch nach zusätzlichen „Alleinstellungsmerkmalen" für die Kinder im Kampf um die letzten Arbeitsplätze eine Rolle. Aber in der immer mehr international - sprich: amerikanisch - geprägten westeuropäischen Welt ist das Latein als kulturelle Grundlage und quasi lingua franca unübersehbar.

Was demjenigen entgeht, der nur seine Muttersprache (z.B. Deutsch) und vielleicht noch eine im gleichen Kulturkreis angesiedelte Fremdsprache (z.B. Englisch) kennt, ist die Tatsache, dass jede Sprache einen eigenen kulturellen Hintergrund und eigene „Denkwerkzeuge" mit sich bringt, deren dauernder Verlust sich irgendwann als für die gesamte Menschheit unheilvoll herausstellen kann. Mit der Gedankenwelt der Menschen steht es wie mit dem Saatgut der Pflanzen: Nur Artenvielfalt garantiert das Überleben.

Es gibt keine toten Sprachen,
nur abgestumpfte Geister.

Carlos Ruiz Zafón, Der Schatten des Windes

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Versuch der Klassifizierung der Endstadien und Todesarten

Die folgende Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll vor allem als Diskussionsgrundlage dienen. Sie soll auch auf die Verantwortung eines jeden Menschen gegenüber seiner Muttersprache hinweisen. Die Beispiele entstammen zunächst meinem begrenzten persönlichen Wissenshorizont, können aber gern durch Beiträge von LeserInnen auch auf andere Sprachen und Kulturkreise ausgedehnt werden. Da bei der Frage nach Leben und Tod einer Sprache immer auch affektive, politische und zuweilen religiöse Dinge eine Rolle - manchmal sogar die Hauptrolle - spielen, gibt es hier keine unumstößlichen Wahrheiten. Auf keinen Fall sind unsere Klassifizierungsversuche als Diffamierung einer Sprache oder Sprachgemeinschaft gemeint.

Neben und zwischen den aufgelisteten Arten sprachlichen Siechtums und Sterbens gibt es natürlich jede Menge Abstufungen, Mischebenen, Übergänge und Abfolgen. Das Gleiche gilt für Ursachen und Beweggründe, wobei diese nicht einmal immer das erwartete, erhoffte oder befürchtete Ergebnis bringen, sondern manchmal auch dessen Gegenteil.

Wenn Sie Verbesserungs- oder Erweiterungsvorschläge zu unserer Darstellung haben, dann schreiben Sie uns bitte. Vielen Dank im Voraus!

Leidens- oder Todesart

Beschreibung, Beispiele

Amtlich verordneter Tod

So manche zentralistische oder auf einen einzigen, meist mehrheitlichen Volksstamm gestützte Regierung hat schon versucht, die Existenz anderer Sprachen auf ihrem Staatsgebiet totzuschweigen oder zu verbieten. Als offizieller Grund gilt dann oft die notwendige Wahrung der politischen und kulturellen Einheit des Landes.

Auf diese Weise wurden z.B. die alten französischen Dialekte und die nicht-französischen Sprachen (Baskisch, Bretonisch, Elsässisch-Lothringisch, Katalanisch, Okzitanisch-Provenzalisch, Wallonisch) über Jahrhunderte hin zurückgedrängt - mit wechselndem Erfolg. Kurdisch wurde in der Türkei bis in jüngste Zeit nicht anerkannt, denn die Kurden galten aus politischen Gründen als „Bergtürken".

Amtlich verordnete Überfütterung

Unter diesem saloppen Ausdruck verstehe ich die gezielte Förderung eines fremden Dialektes mit allen seinen Eigenheiten mit dem Ziel, in den Köpfen seiner SprecherInnen jede sprachliche Verbindung mit der entsprechenden Hochsprache des Nachbarlandes von vornherein zu unterbinden und dem Dialekt durch diese Isolierung das Weiterleben zu erschweren. Beim Elsässischen scheint mir das aus naheliegenden historischen Gründen der Fall gewesen zu sein mit dem Ergebnis, dass seit Ende der 1960er Jahre innerhalb von etwa drei Jahrzehnten die Zahl der Elsässisch Sprechenden dramatisch abgenommen hat und der Dialekt gebietsweise quasi ausgestorben ist. Ein ähnlicher Versuch läuft in Galizien, wo die spanische Regierung die Verbindung mit dem Portugiesischen durch gezielte Förderung und Verfremdung der galizischen Sprache (d.h. durch Annäherung ans Spanische) kappen will. Siehe hierzu auch Galizisch oder Portugiesisch?

Auszehrung mangels SprecherInnen

Wenn die Leute aufhören, ihre Muttersprache oder ihren Mutterdialekt im täglichen Leben zu benutzen, oder wenn die letzten AnwenderInnen wegsterben und die neue Generation sich sprachlich anders orientiert, dann stirbt diese Sprache bzw. dieser Dialekt samt dem dazugehörenden kulturellen Hintergrund aus. Dazu bedarf es noch nicht einmal eines besonderen politischen Drucks. Es genügt oft, dass die sozialen Chancen, die Arbeitssuche, die Partnerwahl sich in einer anderen, dominanten Sprache besser oder leichter gestalten, und schon gehen nach und nach die meisten Leute zu dieser Sprache über. Und sinkt die Zahl der SprecherInnen erst einmal auf wenige tausend, ist der sprachliche Gebietsverlust nicht weit, und der Sprachtod droht. Im deutschsprachigen Umfeld kann man dies bei vielen rätoromanischen Dialekten, bei Plattdeutsch und Sorbisch verfolgen. Ähnlich läuft es im französischsprachigen Gebiet seit Jahrhunderten mit Bretonisch, Okzitanisch (Provenzalisch) und anderen. Das Vegliotische (Dalmatinische) ist im südslawischen Sprachgebiet bereits ausgestorben. Letzteres gilt auch für viele amerikanische Indianersprachen.

Scheintod

Vor allem „klassische" Sprachen wie Latein, Altgriechisch, Althebräisch oder Sanskrit führen zeit- und gebietsweise ein Dasein, das dem Scheintod sehr nahe kommt. Keiner scheint diese Sprachen mehr zu benutzen, keiner scheint sie zu vermissen, und ihre Verbannung aus den Lehrplänen der Schulen ist großenteils erledigt. Aber sozusagen durch die Hintertür drängen diese Sprachen immer wieder ins Leben der Gegenwart, da ihr Wortschatz einen nicht zu verdrängenden internationalen Grundstock bildet und viele Arten der Gelehrsamkeit ständig auf diesen Wortschatz zur Bildung neuer, von der wissenschaftlichen und technischen Weiterentwicklung geforderter Begriffe zurückgreift.

Künstliche Beatmung

Bei dahinsiechenden oder sterbenden Sprachen und Dialekten kann es zu einer neuen Bewusstwerdung ihrer Sprecher und damit einem Wiederaufleben kommen. Doch ist diese neue Bewusstwerdung in vielen Fällen auf enge gelehrte, folkloristische oder regionale Kreise beschränkt, die sich dann mehr oder weniger vergeblich abrackern, um der Sprache oder dem Dialekt wieder Leben einzuhauchen, ohne weit über eine lokale oder akademische Bedeutung hinauszukommen. Beispiele für solche Erscheinungen in den letzten Jahrzehnten: Bretonisch in manchen Teilen der Bretagne, südliches Elsässisch, Okzitanisch (Provenzalisch), manche rätoromanische Dialekte.

Spontane Überfremdung

Viele Sprachen haben zu verschiedenen Zeiten Perioden der Überfremdung erlebt, die zwar „spontan" auftraten, aber doch meist durch die politisch, militärisch, wissenschaftlich oder wirtschaftlich dominierende Stellung der überfremdenden Sprache bedingt waren. Die Folge davon ist meist eine Bereicherung der überfremdeten Sprache, doch kann sich der Charakter dieser Sprache dabei so stark ändern, dass sie kaum noch wiederzuerkennen ist. Beispiele: Das Persische ist eine indogermanische Sprache, die durch das Arabische jahrhundertelang so stark überfremdet wurde, dass sie von den Sprachwissenschaftlern lange Zeit als semitische Sprache (wie das Arabische) angesehen wurde. Seit einigen Jahrzehnten werden sehr viele Sprachen dieser Welt englisch-amerikanisch überfremdet.

Erdrosselung durch Übermacht

Kleinere Sprachinseln in einem übermächtigen anderssprachigen Ozean werden unter Umständen durch diese bloße Nachbarschaft in Lebensgefahr gebracht, denn über das Stadium der spontanen Überfremdung kann es zur Auszehrung mangels SprecherInnen kommen. Beispiele: Das kanadische Französisch befindet sich in heftigem Abwehrkampf gegen diese Entwicklung; viele nordamerikanische Indianersprachen sind bereits auf der Strecke geblieben; das Persische stand im Hochmittelalter massiv unter Druck (nachzulesen bei al-Biruni), blieb aber unter Aufgabe seines indogermanischen Charakters am Leben.

Amtlich verordnete Überfremdung

Die Überfremdung einer Sprache kann auch amtlich verordnet sein. Meist steht dahinter der Wunsch nach nationalstaatlicher Anpassung sprachlicher Minderheiten und die Angst vor separatistischen Bewegungen. Beispiele: Die spanische Regierung versucht das Galizische durch Hispanisierung der Rechtschreibung von seinen portugiesischen Wurzeln zu entfernen; nichtrussische Sprachen wurden in der Sowjetunion - bei offizieller Gleichberechtigung - nach dem Grundsatz des geringstmöglichen Abstandes vom Russischen behandelt.

Wenn Sie Fragen oder Materialien zu sterbenden oder gestorbenen Sprachen haben, dann schreiben Sie uns bitte. Vielen Dank im Voraus!

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Wiedergeburt

Dass eine tote Sprache spontan wieder geboren wird, ist so unwahrscheinlich wie die Wiedergeburt einer ausgestorbenen Tierart. Aber könnte so, wie man den Auerochsen (Ur) aus heute lebenden Rinderrassen wieder „zurückgezüchtet" hat, eine tote Sprache nicht ebenfalls wieder erstehen lassen? Die Süddeutsche Zeitung vom 28.03.06 berichtet in einem spannenden Artikel unter dem Titel „Wie belebt man tote Worte?" von genau so einem Experiment (Interview von Katja Ebbecke).

Ausgangspunkt: Man wollte einen neuen Film drehen, der schildert, wie im Jahre 1607 ein englischen Kapitän auf eine Indianertochter trifft und sich in sie verliebt. Originaltitel: The new world, deutsch: Pocahontas nach dem Namen der Indianerin. Problem: Die Muttersprache der Indianerin war Virginia Algonkin, eine inzwischen ausgestorbene Sprache. Was tun?

Man beauftragte einen auf solche Sprachen spezialisierten Linguisten, Blair Rudes, Pocahontas Virginia Algonkin aus den wenigen in anderssprachigen Texten überlieferten Wörtern und mit Hilfe verwandter heutiger Algonkin-Sprachen zu rekonstruieren. Im Interview erläutert der Sprachwissenschaftler die Schwierigkeiten und Einschränkungen, die ein solches Projekt aufweist - zunächst in der Rekonstruktion, dann in der Anwendung durch die Schauspieler. Denn es geht da nicht nur um einzelne Wörter, sondern um Denk- und Satzstrukturen, um Aussprache und Satzmelodie, um Synchronisierung und Lippenstellung - und nicht zuletzt um ein Gedächtnisproblem für die Schauspieler...

Wenn man den Erfolg des Filmes betrachtet, scheint das Experiment im gesteckten Rahmen gelungen zu sein. Aber das ist natürlich keine echte Wiedergeburt. Dazu fehlt nicht nur die (hier unmögliche) Verifizierung durch Muttersprachler, sondern auch der volle Umfang der ursprünglich vorhandenen sprachlichen und gedanklichen Mittel.

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Literatur

AutorIn / Titel

Anmerkungen

Info / Kauf

Al-Biruni, In den Gärten der Wissenschaft

Wie der Titel sagt, geht dieses historische Buch weit über die linguistischen Fragen hinaus. Es gibt Auskunft über die Geschichte des Altpersischen.

Siehe Besprechung.

Harald Haarmann, Lexikon der untergegangenen Sprachen

Dieses Buch geht weltweit enzyklopädisch an die Thematik ran.

Siehe Besprechung.

Karl-Markus Gauß, Die sterbenden Europäer

Der Autor ist zu fünf bedrohten sprachlichen Minderheiten in Europa gereist und stellt sie in einem Reisebericht vor.

Siehe Besprechung.

Hans-Rudolf Hower 2006

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Häufige Fragen - Webmaster

Letzte Aktualisierung: 01.07.19